Heute saß ich mit der niederländischen Fotografin Carla van de Puttelaar im Restaurant „Alte Meister“. Wir kamen auf die hitzige Diskussion um Deutungshoheiten zu sprechen, die der neue PORTRAITS-Juror Daniel Blochwitz in der PHOTONEWS losgetreten hat.
Ungläubig fragte Carla (die u.a. in Dresden ist, weil sie Marion Ackermann porträtieren möchte), ob „Ost-West“ dreißig Jahre nach der Wende immer noch ein Thema sei?
Dazu, Carla, kann man vielleicht erst einmal nüchtern die Geburtsorte aller Direktorinnen und Direktoren der Staatlichen Kunstsammlungen auflisten, die unter besagter abzulichtender Generalin (geb. in Göttingen) und ihrem Kaufmännischen Direktor Dirk Burghardt (geb. in Düsseldorf) arbeiten. Herkunft ist ja nicht erst seit dem Dresdner Bilderstreit ein Reizwort der Debatte – und wird es noch solange bleiben, wie deutsche Universitätslehrstühle, Richterämter und überhaupt sämtliche Leitungspositionen von Bundeswehr bis DAX überproportional von Westdeutschen dominiert werden.
- Dorothée Brill (Sammlung Hoffmann), geb. in Freiburg i.Br.
- Stephanie Buck (Direktorin Kupferstich-Kabinett), geb. in Kirn (Rheinland-Pfalz)
- Dietmar Elger (Leiter Gerhard Richter Archiv), geb. in Hannover
- Rudolf Fischer (Leiter AdA), geb. in München
- Thomas A. Geisler (Direktor Kunstgewerbemuseum), geb. in Österreich
- Reiner Grund (Direktor Münzkabinett), geb. in Annaberg-Buchholz
- Igor Jenzen (Museum für sächsische [sic] Volkskunst), geb. in Frankfurt am Main
- Stephan Koja (Direktor Gemäldegalerie Alte Meister / Skulpturensammlung), geb. in Wien
- Léontine Meijer-van Mensch (Direktorin Staatl. Ethnographische Sammlungen), geb. in Hilversum, NL
- Katja Margarethe Mieth (Direktorin Sächs. Landesstelle für Museumswesen), geb. in Dresden
- Peter Plaßmeyer (Direktor Math.-Phys. Salon), geb. in ?
- Marcelo Rezende (Leiter AdA), geb. in Brasilien
- Dirk Syndram (Direktor Grünes Gewölbe), geb. in Duisburg
- Silke Wagler (Leiterin Kunstfonds), geb. in Dresden
- Hilke Wagner (Direktorin Albertinum), geb. in Kassel
- Julia Weber (Direktorin Porzellansammlung), geb. in München (?)
Beruhigend, dass also mindestens drei ostdeutsch kunstsozialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Marion Ackermanns Team sind. Und gut, dass nach der Martin-Roth-Ära, in der fünf der genannten Sammlungen längere Zeit kommissarisch geleitet wurden (um Geld zu sparen?), alle Posten zeitnah nachbesetzt wurden und werden.
Als Seitenstrang-Angina sei vielleicht noch ein Leserbrief von mir abgedruckt, den die Chefredakteurin zerknirscht beantwortete und Besserung gelobte. Wenn jemand also eine aktuelle chrismon-Ausgabe in die Hand bekommt, wäre das mal nachzuprüfen.
Sehr geehrte Frau Ott,
Sehr geehrte Damen und Herren der chrismon-Redaktion,
die Autorinnen-Bio von Mareike Fallet auf S. 35 der aktuellen „chrismon“ liest sich – unter Fremdschäm-Schmerzen – wie folgt: „Mareike Fallet hatte früher viele Brieffreundinnen, eine hieß Anett und wohnte in Ost-Berlin. Leider haben sie den Kontakt verloren. Anett, solltest du das lesen: Ich freu mich über einen Brief von dir!“
Die Wahrscheinlichkeit, dass Anett sich meldet, schätze ich als nicht sehr hoch ein. Wissen Sie, warum? Weil »chrismon« sich dreißig Jahre nach der Wende liest wie ein Magazin der alten Bundesrepublik, gemacht von Westdeutschen für Westdeutsche. Da das eine recht forsche Behauptung ist (und sich über Geschmack, also Schreibstil, bekanntlich nicht streiten lässt), habe ich mir erlaubt, einmal auf einer Deutschlandkarte (inkl. fünf neue Bundesländer!) die Orte einzuzeichnen, in denen die Geschichten der aktuellen Ausgabe spielen, an denen die Protagonist*innen wohnen, die Anzeigenpartner*innen beheimatet sind und (blau) aus denen die Leserbriefschreiber*innen stammen.
Dieser Karte ist nichts hinzuzufügen, außer: Ich fühle mit Zonen-Anett und bin wütend über die Diskriminierung, die in diesem selbstgefälligen Magazin auf jeder einzelnen Seite zutagetritt.
Mit freundlichen Grüßen aus Dresden / Rostock (das hat Google mit eingezeichnet),
Familie Morgenstern/Thielemann
PS: Ach ja, diese Diskussion machen wir lieber gar nicht mehr auf: https://katapult-magazin.de/de/artikel/wie-westverlage-die-ostdeutsche-regionalpresse-uebernahmen